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FIDEL CASTRO

Eine Biografie

Das politische Phänomen Fidel Castro - vom talentierten Baseballspieler und konservativen Jesuiten zum Revolutionär, Marxisten und Caudillo, der sich als Befreiungskämpfer für die Dritte Welt und moderner Erbe Simon Bolívars versteht.

BUCHDETAILS

ca. 530 Seiten + 2x8 Seiten Tafeln. Gebunden.
EUR 22,90/öS 364,-/sFr 44,50
ISBN 3-463-40399-4
Erstverkaufstag: 23. März 2001
Verlegt bei Kindler

LESEPROBE

Erstes Kapitel

Der Heldenmythos

 

„Eines ist sicher: Wo immer er sein mag, wann immer und mit wem auch immer - Fidel Castro ist da, um zu gewinnen. Ich glaube nicht, daß es jemanden auf dieser Welt gibt, der ein schlechterer Verlierer sein könnte als er. Sein Verhalten angesichts einer Niederlage, selbst in den kleinsten Dingen des täglichen Lebens, scheint einer persönlichen Gesetzmäßigkeit unterworfen zu sein: er wird es einfach nicht zugeben, und er wird keine Ruhe finden, ehe er es nicht geschafft hat, die Bedingungen umzukehren und einen Sieg daraus zu machen.“ Der diese Worte geschrieben hat, ist ein langjähriger Freund des „Máximo Líder“: der Schriftsteller Gabriel García Márquez. Seine Sätze vermitteln eine Ahnung davon, was Fidel Castro über ein halbes Jahrhundert lang angetrieben haben mag, seine Feinde, Gegner und kritischen Freunde zu überdauern: Er wollte recht behalten in seiner Sache, moralischer wie politischer Sieger sein. Ohne jeden Selbstzweifel: „Sein“ Kuba den Kubanern! Das endgültige Urteil über seine „Mission“ sollte einzig die Geschichte fällen dürfen. Aber selbst ihr gegenüber hat Castro von Anfang an versucht, das letzte Wort zu behalten und das Urteil vorwegzunehmen: 1953, in dem Gerichtsverfahren um seinen gescheiterten Überfall auf die Moncada-Kaserne in Santiago de Cuba, mit dem er seine Laufbahn als Berufsrevolutionär begonnen hatte, beendete er sein berühmt gewordenes Verteidigungsplädoyer in der Gewißheit: „Die Geschichte wird mich freisprechen!“ Márquez glaubt: „Er ist einer der größten Idealisten unserer Zeit, und dies mag vielleicht seine größte Tugend sein, obwohl dies auch stets seine größte Gefahr gewesen ist.“ Aber da lauerte immer noch eine größere Gefahr: Die Einsamkeit. Denn nur in der Einsamkeit gibt es keinen Widerspruch mehr.

Mit eisernem Willen hat Castro Generationen von amerikanischen Präsidenten, sowjetischen Generalsekretären, von Staats- und Regierungschefs, Demokraten und Potentaten aus vielen Ländern überlebt, bis er die am längsten herrschende Nummer Eins des 20. Jahrhunderts und eine der interessantesten Personen der Zeitgeschichte war. Bärtig, immergrün uniformiert, Haß- und Heldenfigur in einem – so kennt ihn die Welt. Gegen keinen wurden vermutlich so viele Mordkomplotte geschmiedet. Wer derart wenig geschmeidig, „unpolitisch“ kompromißlos agiert, überlebt meist nicht lange in diesen Breitengraden, wird abgesetzt oder umgebracht. Daß er am Leben blieb, ist fast ein Wunder. Es bestand aus dem Zusammenspiel seines gut trainierten Instinktes mit seinem allgegenwärtigen Sicherheitsapparat, der als einer der besten der Welt gilt. Kaum daß Castro 20 Jahre alt war, waren bereits Mörder und Verschwörer hinter ihm her: das politische Gangstertum an der Universität von Havanna Ende der vierziger Jahre, die Handlanger des später von ihm gestürzten Diktators Fulgencio Batista, während der Revolution Verräter in den eigenen Reihen, vertriebene Großgrundbesitzer, Exilkubaner aus Florida, Hand in Hand mit der CIA und der Mafia. Deren Bosse, allen voran der legendäre Meyer Lansky, hatten nach Castros Revolution auf Kuba 1959 ein Vermögen an Hotels, Clubs, Casinos, Bordellen und anderen Anlagen im Wert von über 100 Millionen Dollar verloren. Das war allein gut ein Zehntel des damals verstaatlichten US-Vermögens. Daß ein sturer Bauernsohn aus dem unterentwickelten Osten Kubas daherkam und dem sauberen Amerika dieses lukrative Paradies und Sündenbabel einfach wegnahm, daß er die „Yankees“ und ihren Präsidenten Kennedy dann bei ihrem Invasionsversuch mit exilkubanischen Söldnern in der Schweinebucht 1961 vor aller Welt demütigte, daß seinetwegen auf Kuba stationierte sowjetische Atomraketen 1962 beinahe den Dritten Weltkrieg auslösten - diese tiefen narzißtischen Kränkungen im Angesicht der Geschichte wird ihm die Großmacht im Norden auch über seinen Tod hinaus nie verzeihen.

Es gibt kaum Bilder, die Castro lachend zeigen. Dabei sind die Kubaner temperamentvolle, lebensfrohe Menschen. Marquez beschrieb Castro als „einen der wenigen Kubaner, die weder singen noch tanzen“. Dabei soll er ein humorvoller Mensch sein. Aber es ist, als ob er sich das Lachen und Vergnügen in aller Öffentlichkeit selbst verboten hat. Lachen ist privat. Ob es hinter dem politischen Castro auch einen privaten gibt, ist Staatsgeheimnis. Informationen über ihn und seine Familie sind gefiltert, teils widersprüchlich oder ungenau. Insgesamt gibt es nur wenig Persönliches über ihn zu erfahren. Man weiß von der früh geschiedenen Ehe, kennt ein paar leidenschaftliche Liebesaffären wie jene mit Nathalia Revuelta, der einstmals betörendsten Frau Havannas, und mit Marita Lorenz, der schönen deutschen Kapitänstochter, die ihn später im Auftrag der CIA umbringen sollte und es doch nicht schaffte. Er hat einen ehelichen Sohn, Fidelito, ein promovierter Nuklearwissenschaftler, mehrere uneheliche Kinder und eine große Enkelschar. Allen, so wird gestreut, ist er ein gütiger und strenger Vater und Großvater. Alina, seine Tochter mit Nathalia Revuelta, verfolgt ihn indessen mit Hass. Es ist bekannt, daß Castro gern schwimmt, taucht und das Baseballspiel liebt, wenig schläft und ein manischer Nachtarbeiter ist, daß er sich aus gesundheitlichen Gründen das Zigarrerauchen abgewöhnen mußte, materiell anspruchslos ist und asketisch lebt, trotzdem Eiscreme liebt und Spaghetti, die er sich gern selbst zubreitet. Als Márquez ihn einst in einer melancholischen Stimmung antraf und fragte, was er denn in diesem Augenblick am liebsten tun würde, antwortete Castro dem verblüfften Freund: „Einfach nur an irgendeiner Straßenecke herumhängen.“ Ob er je dachte, er hätte vielleicht doch Baseball-Spieler werden sollen? Die Chance hatte er schließlich. In seiner Studentenzeit war er ein so guter Pitcher, daß ihm die „New York Giants“ einen Profi-Vertrag anboten. Dann hätte ein Stück Weltgeschichte einen anderen Verlauf genommen.

Doch stattdessen fühlte sich der im Osten Kubas geborene Sohn eines Großgrundbesitzers dazu berufen, mit einer Handvoll Gefährten - darunter dem später als Pop-Ikone der 68er-Generation vergötterten Argentinier Ché Guevara - den Diktator Fulgencio Batista zu stürzen. Und so regiert Castro seit 1959 wie ein Patriarch mit strenger Hand sein Volk wie eine große Familie. Die ganze Insel ist seine „Latifundie“. Aber er will sich nicht als ihr Besitzer, sondern als deren Treuhänder verstanden wissen. Unter ihm wurden soziale Reformen eingeleitet, ein für Lateinamerika und darüber hinaus beispielloses Bildungs- und Gesundheitssystem durchgesetzt. Und unter ihm war es den Kubanern vergönnt, erstmals eine nationale Identität zu entwickeln und diese selbst in der Zeit der politischen und wirtschaftlichen Abhängigkeit von der Sowjetunion beibehalten zu können. Dies, und nicht allein das allgegenwärtige Staatssicherheitskorsett, mag einer der Gründe sein, weshalb das System Castro sich trotz mangelnder demokratischer und materieller Freiheiten so lange halten konnte. Jahrzehntelang lebt die Mehrheit der Kubaner mit einem gespaltenen Bewußtsein: einerseits der Haßliebe zu den USA und der Sehnsucht nach einem Leben, wie es die westliche globalisierte Glitzerwelt vorgaukelt, und andererseits Verehrung, dem Respekt einer großen Mehrheit für Fidel, ihren Patron, selbst in armseligsten Zeiten.

Auch wenn er von seinem Temperament her eher nach seinem Vater geraten schien: Einen nicht zu unterschätzenden Einfluß auf das Wesen und den Charakter des Menschen Fidel Castro haben zweifellos der strenge katholische Glaube seiner Mutter und die langjährige jesuitische Internatserziehung gehabt. Nicht von ungefähr hat er immer wieder Parallelen zwischen dem Urchristentum und seinem Verständnis von Sozialismus gezogen, wenngleich er mit der Amtskirche dauerhaft im Konflikt lag. Vor diesem Hintergrund zimmerte er sich im Laufe der Jahre seine eigene „Ideologie“. Sie bestand aus mehr als nur einer simplen Übernahme des Kommunismus sowjetischer Prägung: sein karibisches Sozialismusmodell ist der „Castroismus“ oder, wie die Kubaner sagen: „Fidelismus“. Eine pragmatische Melange aus ein wenig Marx, Engels und Lenin, etwas mehr Ché Guevara, viel José Martí und sehr viel Fidel Castro. José Martí war der kubanische Freiheitskämpfer, der Ende des 19. Jahrhunderts den entscheidenden Unabhängigkeitskampf der Kubaner gegen das Mutterland Spanien anführte. Mit ihm identifizierte Castro sich seit früher Jugend und sah sich stets in der Rolle als dessen Erbe und Enkel. „Er kannte die 28 Bände von Martís Werk gründlich und verstand es, dessen Ideen mit den Gedankenströmen einer marxistischen Revolution zu vereinigen“, schrieb Márquez. Martí fiel bereits in den ersten Kriegstagen des Jahres 1895 und mußte nicht mehr erleben, wie am Ende die USA intervenierten, um sich nach der Niederlage der Spanier 1898 die Insel untertan zu machen. Voller Sorge hatte Martí an seinem Todestag an einen Freund geschrieben: „Die Geringschätzung durch einen gewaltigen Nachbarn, der uns nicht wirklich kennt, ist die schlimmste Gefahr für unser Amerika.“ Genau das ist die tiefere Ursache für das kubanisch-amerikanische, ja das lateinamerikanische Dilemma und wird es über Castro hinaus bleiben.

 

 

Zweites Kapitel

Der junge Fidel

Unter Jesuiten

 

Das erste Mal, daß im Weißen Haus in Washington der Name des kubanischen Staatsbürgers Fidel Castro zu den Akten genommen wird, ist im Jahre 1940. Mit Datum vom 6. November gratuliert der junge Internatsschüler des Jesuitenkollegs Dolores in Santiago de Cuba dem Präsidenten der Vereinigten Staaten, Franklin D. Roosevelt, zu dessen Wiederwahl. Bevor er den dreiseitigen Brief mit einem „Good by[e] Your friend“ und einer Unterschrift aus schwungvollen Schnörkeln beendet, äußert er noch eine persönliche Bitte: „Wenn Sie mögen, schicken Sie mir eine grüne amerikanische Zehn-Dollar-Note im Brief, denn ich habe noch nie eine grüne amerikanische Zehn-Dollar-Note gesehen und würde gerne eine davon haben wollen.“ In dem Brief schreibt Castro, zwölf Jahre alt zu sein. Sollte dies der Wahrheit entsprechen, würde es bedeuten, daß Castro zwei Jahre jünger ist als offiziell angegeben. Eine Antwort des Präsidenten erhält er nicht, immerhin aber ein Dankschreiben des State Department. Ein Geldschein liegt allerdings nicht dabei. Niemand kann zu diesem Zeitpunkt ahnen, daß dieser Junge, wenn er einmal groß sein wird, den Amerikanern alles wegnehmen wird, was sie auf Kuba haben...

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