Punta Delgada, ''Schmale Stelle'', heißt jener Punkt auf der Landkarte, an dem vorbei einst der Sturm die Schiffe des portugiesischen Seefahrers Fernando Magellan durch den Meeresschlund in die nächste Bucht peitschte. Abrupt endet hier die Panamericana, die von Alaska nach Feuerland führende Traumstraße der Welt, in einen Fähranleger. Ein Leuchtturm, ein chilenischer Militärposten und ein paar Bretterbuden markieren diese geschichtenumwobene Stelle. In der sturmzerzausten Hostería ''EI Faro'' warten die Mitarbeiter von Ölbohrgesellschaften, Estancieros (Großgrundbesitzer), Handlungsreisende und Fernfahrer von Schaftransportern sowie Weltenbummler aus allen Erdteilen darauf, daß die nautischen Nachfahren Magellans sie über die nach ihrem Entdecker benannte Magellanstraße nach Feuerland hinüberbringen. Die Überfahrt über die hier nur drei Kilometer breite Meerenge dauert etwa 30 Minuten. Aber oft erlauben Wind und Wetter ein Übersetzen erst nach Stunden oder länger. Da sitzen sie dann alle, wärmen sich mit heißem Kaffee und verlieren sich beim Blick durchdie Fenster der Gaststube, hier am Ende der Welt, in Gedanken von Sehnsucht und Einsamkeit, Weite und Unendlichkeit.
Dieses Ende der Welt beginnt knapp 2000 Kilometer weiter nördlich, in Chile, oberhalb von Puerto Montt, und in Argentinien etwa dort, wo der argentinische Rio Colorado auf den 38. Breitengrad trifft. Alles, was südlich davon liegt, ist Patagonien, das so groß ist wie Frankreich und Spanien zusammen. Seit Jahrhunderten locken der Mythos und die wilde Schönheit von Patagonien mit seinen schier endlosen Ebenen im argentinischen Teil, östlich der Anden-Gebirgskette, und den zerklüfteten Fjordlandschaften auf chilenischer Seite zahlreiche Entdecker, Abenteurer, Glücksritter, Kirchenmänner, Forscher und Touristen an. Inzwischen ist Patagonien auch der Geheimtip unter wohlsituierten Zeitgenossen auf der Flucht vor der Zivilisation. Immer mehr amerikanische Filmschauspieler und Geschäftsleute haben in den letzten Jahren abgelegene Estancias mit Zehntausenden von Hektar Land und Schafweiden gekauft.
Einer der schönsten Reisewege in Patagonien ist der von Puerto Montt per Bus und Schiff über das Seengebiet von Todos Ios Santos quer durch die Anden nach Bariloche am Nahuel-Huapí-See in der argentinischen Schweiz. Etwas weiter südlich von hier, in Chollila, am Fuß der Anden, lebten und versteckten sich einst die nordamerikanischen Wildwest-Gangster Butch Cassidy und Sundance Kid und unternahmen auch von hier aus ausgedehnte Streifzüge als Bankräuber bis hinunter nach Rio Gallegos an der Atlantikküste. Wie ein gewaltiger Riegel türmt sich bei der Weiterreise Richtung Magellanstraße rechter Hand das Andengebirge am Rande der weiten Ebenen auf. Ganz weit droben, in einsamen Höhen, behüten die zackenbewehrten Kronen der Berge und eisige Stürme das größte Gletscherfeld der Erde außerhalb arktischer Regionen vor dem menschlichen Durchquerungsdrang.
Das gewaltige Fitzroy-Massiv, der Perito-Moreno-Gletscher, von dem unaufhörlich fast hundert Meter hohe Eiswände abbrechen und mit donnerndem Getöse in einen meterhoch überschwappenden Gebirgssee stürzen; die grandiosen Naturschauspiele im chilenischen Nationalpark Torres del Paine mit seinen Guanakos, Straußenvögeln, Kondoren und Pumas; die riesigen Pinguin- und Meeressäugerkolonien auf der Halbinsel Valdes am Atlantik erzählen von der Anziehungskraft dieser rauhen Region unter dem Kreuz des Südens. Die alten prachtvollen Grabmale auf dem Friedhof des chilenischen Punta Arenas an der Magellanstraße berichten indessen vom bewegenden, rauhen und oft gewalttätigen Schicksal der hier aus aller Herren Länder zusammengewürfelten Kolonie.
Von ihren Palacios in der einstigen ''Hauptstadt'' Patagoniens aus beherrschten bald einige wenige, einst als mittellose Einwanderer gekommene große Familien wie die Braun-Menendez ganze Breitengrade Patagoniens und Feuerlands und machten mit Schafen und Schiffahrtslinien unermeßliche Vermögen. Solange es keinen Panama-Kanal gab, kamen alle Schiffe auf dem Weg an die amerikanische Westküste hier vorbei. Zwischen 1929 und 1931 beförderte der legendäre französische Pilot und Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry die Luftpost der Braun-Menendez und anderer Estancieros zwischen Buenos Aires und den patagonischen Küstenstädten.
Wer die Weiten durchfährt, kann all die Geschichten und Geheimnisse dieser Region nachempfinden. Er muß sich nur dem ewigblasenden Wind unter dem endlosen Himmel, dem intensiven Licht und dem dramatischen Spektakel der Wolkenbilder hingeben. Bei dem Ort EI Calafate wächst eine ''Zauberbeere'', von der es heißt, wenn man einmal eine gegessen hat, zieht es einen immer wieder nach Patagonien zurück. Der inzwischen verstorbene Tangosänger Roberto Goyeneche drückte in dem argentinischen Filmklassiker ''Sur'' am einfühlsamsten das aus, wonach sich alle sehnen, die nach Patagonien kommen: ''Ich suche den Süden, wo die Zeit Ewigkeit ist.''