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Modell Kuba
Die neue Führung nach der Ära Castro wird wahrscheinlich reformbereit sein. Seine Machtelite jedoch wird versuchen, ihre Pfründe zu wahren

Es ist, als wäre er gestorben. Kaum jemand in der Welt konnte sich vorstellen, dass die Ära Fidel Castro anders zu Grabe getragen würde als in einem Sarg. Nun aber fand dies in Form der schlichten Mitteilung statt, er gebe seine Staatsämter auf.

Es passt irgendwie zu ihm, dass er seinen Abgang so inszeniert, dass er ihn auch noch selbst erleben darf. Aber vor allem auch, weil er so noch bestimmen kann, wer ihm folgt. Und das ist aller Wahrscheinlichkeit nach sein Bruder Raúl, der als Erster Vizepräsident schon seit anderthalb Jahren die Amtsgeschäfte des kranken Máximo Líder kommissarisch wahrgenommen hat.

Wenn die 624 Abgeordneten der gerade neugewählten kubanischen Nationalversammlung wie geplant am Sonntag zusammentreten und den 31-köpfigen Staatsrat, mithin praktisch die künftige Staatsführung wählen, dann dürfte der jüngere Bruder der einzige Kandidat für die Nachfolge des Staatspräsidenten sein.

Spannend an dem Ritual wird sein, wie dieser Staatsrat sonst zusammengesetzt sein wird, wer den Ministerrat bildet. Wer also jene Leute sind, die das schwierige Erbe des großen Caudillo übernehmen. Denn Raúl Castro marschiert ebenfalls bereits auf die 80 zu und gilt auch nicht mehr als ganz gesund. Deshalb ist er nur ein Übergangskandidat. Doch einer, der Weichen stellen kann, um den kubanischen Sozialismus einerseits zu bewahren, andererseits ihn so zu reformieren, dass er überhaupt noch eine Zukunftschance hat.

Am Tag eins nach Fidel Castro geht es schlicht um die Zukunftsfähigkeit eines Modells, das eigentlich längst ausgedient hat. Doch den Zusammenbruch des Kommunismus in Osteuropa Anfang der neunziger Jahre hat Castros Kuba auf wundersame Weise überlebt, weil unter seiner Aufsicht Raúl und eine junge Garde aus Beratern und Ministern Wirtschaftsreformen einleiteten, die nach einem dramatischen Einbruch des Bruttosozialprodukts um 35 Prozent den völligen Zusammenbruch des Systems verhinderten.

Sie führten den Dollar als konvertierbare Währung ein, öffneten die kubanischen Staatsbetriebe für Joint Ventures als Kapitalbeteiligungen ausländischer Firmen überwiegend aus Europa und Kanada und bauten vor allem das Tourismusgeschäft aus. Das kubanische Militär, einst die größte Streitmacht Lateinamerikas, ist heute militärisch eher bedeutungslos, dafür aber ein großer Tourismuskonzern mit mehr als 240 Firmen.

Große Verdienste bei diesem Umbau und der Öffnung der Wirtschaft für ausländisches Kapital erwarb sich dabei der heute 55-jährige ehemalige Kinderarzt, Vizepräsident und Sekretär des Ministerrates Carlos Lage, der seither als eine Art Premierminister eher unauffällig und im Hintergrund das politische Tagesgeschäft für den Máximo Líder besorgte. Daher wird es von großer Bedeutung sein, ob Lage, der zwar sympathisch wirkt, aber wenig charismatisch ist, von der Nationalversammlung bestätigt wird.

Lage wird eher der liberalen, aufgeklärten und reformwilligen Fraktion im Staats- und Parteiapparat zugerechnet. Ganz im Gegensatz zum gegenwärtigen Außenminister Felipe Pérez Roque - ein enger Ziehsohn Fidel Castros -, der als ideologischer Stalinist sehr weitgehende Führungsambitionen hat und der sicherlich jetzt schon davon träumt, eines Tages Raúl Castro zu beerben.

Anzeichen für eine Reformbereitschaft der künftigen Führung sind bereits seit Sommer vorhanden, als Raúl Castro in einer bemerkenswerten Rede am 26. Juli 2007 die Bevölkerung aufrief „über strukturelle und konzeptionelle Reformen nachzudenken“. Vor allem macht ihm die Ernährungslage Sorgen. Es kommt ihm darauf an, eine Steigerung der Agrarproduktion zu erreichen, womöglich im Rahmen einer marktwirtschaftlichen Öffnung.

Seit diesem Aufruf hat es eine Welle von 3,5 Millionen Eingaben, Ideen, Anregungen und Forderungen an die Staats- und Parteigliederungen gegeben, von denen 1,2 Millionen übrig geblieben sind – als Programmpaket für die neue Nationalversammlung und die künftige Regierung. Auch erste Anzeichen von Meinungsfreiheit gibt es bereits – wie bei Juventud Rebelde, der Parteizeitung der Jungkommunisten, in der Missstände in ungewohnter Offenheit kritisiert wurden.

Wie weit Reformen gehen werden und können, hängt auch vom Ausland ab. Von Reaktionen der USA und der EU sowie Lateinamerikas. Kuba hat vom Linkstrend in Lateinamerika in den letzten Jahren stark profitiert und ist dadurch vom Westen unabhängiger geworden. Allein die Öllieferungen aus Venezuela, dessen Präsident Hugo Chávez sich als Ziehsohn Castros und Erbe des Befreiers Südamerikas, Simon Bolívar, gleichermaßen sieht, belaufen sich auf einen Wert von jährlich etwa vier Milliarden Dollar.

Europa hat infolge der Auseinandersetzung um die Menschenrechte kaum noch gute Kontakte auf der Regierungsebene. Mitunter könnte man annehmen, dass sogar die USA bessere Verbindungen in den Regierungsapparat hinein haben. Immerhin bezieht Kuba – Wirtschaftsembargo hin oder her – mittlerweile jährlich Lebensmittel aus den USA im Wert von 500 Millionen US-Dollar – gegen Barzahlung im Voraus und gekennzeichnet als humanitäre Hilfe. Daher wird es nun vor allem darauf ankommen, die Radikalen unter den Exilkubanern in Miami im Zaum zu halten, die am liebsten sofort über Kuba herfallen würden.

Es wird sich zeigen, wie sehr Kuba nun zum Thema im US-Wahlkampf werden wird. Aber solange Fidel Castro noch lebt, und sei es als kranker und pflegebedürftiger Rentner, wird sich Washington zügeln. Deshalb werden Fidel und Raúl alles daransetzen, dass Fidel Castro auch noch diesen zehnten US-Präsidenten überlebt, weil es mit einem demokratischen Präsidenten oder einer Präsidentin sicher einfacher würde, eine Annäherung in die Wege zu leiten.

Gleichwohl steuert Kuba jetzt in eine schwierige Zeit. Denn die Machtelite wird versuchen, ihre Pfründe zu wahren, gleichzeitig wird sie aber den Erwartungen der Bevölkerung, die darauf hofft, dass sich etwas ändert, gerecht werden müssen.